Der Zwergackerweg ist eine ruhige Straße am Rande des Münchner Stadtteils Freimann. Kinder spielen in den Gärten, die Wege sind wenig befahren. Doch seit diesem Montag (13.03.2017) verwandelt sich die Siedlung in eine temporäre Geisterstadt. Und das noch bis Anfang Mai.
Schuld sind rund zehn Tonnen Munition, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges dort von allen unbemerkt vergraben liegen. Die Eltern von Melitta Meinberger hatten in den 1950er Jahren das Grundstück gekauft und ihren Lebenstraum dort in Form eines Hauses verwirklicht. Noch heute lebt die 72-Jährige zusammen mit ihrer Familie in dem Anwesen und bis vor zwei Jahren war ihre Welt in Ordnung. Damals wurde auf dem Nachbargrundstück der Keller einer Doppelhaushälfte ausgebaggert. Dabei fanden die Bauarbeiter Munitionsreste aus dem 2. Weltkrieg in einem zugeschütteten Löschteich. "Schon damals wurde angenommen, dass das Becken auch auf mein Grundstück reicht. Und man sollte Recht behalten", erinnert sich Meinberger an die Anfänge ihrer Martyriums. Denn was tatsächlich auf sie zukommen würde, ahnte die Rentnerin da noch nicht.
"Ich war natürlich grundsätzlich bereit die Munition zu entfernen. Aber dann kam die Kostenfrage auf. Das Kreisverwaltungsreferat sagte, dass ich das zahlen müsste", beschreibt die Seniorin die Situation. Das Stichwort lautet dabei "Zustandsstörer". Demnach sei der Besitzer eines Grundstücks laut Gesetz verpflichtet, etwaige Munition, Bomben oder andere Waffen, die auf seinem Gebiet gefunden werden, auf eigene Kosten zu entsorgen. In zwei Instanzen ging Meinberger vor Gericht, um eine faire Kostenteilung zwischen ihr und dem Staat zu erstreiten, doch beide Male verlor sie. Und so beauftragte sie einen Kampfmittelräumdienst, der das Gelände prüfte und einen Kostenvoranschlag von 12.000 Euro für zehn Arbeitstage offierierte. "Das wäre ja noch vertretbar gewesen", so die Besitzerin. Doch es kam alles anders.
Bei ersten Entschärfungsarbeiten stellten die Experten fest, dass wesentlich mehr Munition gelagert war, als zunächst angenommen. "Im Moment liegen wir bei zwei Tonnen binnen zwei Wochen", weiß Kampfmittelbeseitiger Heinrich Bernhard Scho. Er hat sich daraufhin Luftbilder angesehen und fällte ein vernichtendes Urteil: "Das Becken ist 25 Meter lang, 11 Meter breit und bis zu sechs Meter tief. Es erstreckt sich bis unter das Fundament des Wohnhauses." Nun rechnet er mit einem Arbeitsaufwand von nicht weniger als 40 Werktagen. Dazu kommen noch Gutachten von Statikern und andere Experten. Obwohl der Freistaat mittlerweile Unterstützung zugesagt hat, steht nun fest, dass alleine auf die Rentnerin Kosten von 200.000 Euro zukommen werden, die sie zu tragen hat.
Und seit vergangenen
Freitag steht zudem fest: Aufgrund des enormen Gefahrenpotentials muss
das Gebiet im Radius von 50 Metern evakuiert sein. Für die betroffenen
Anwohner bedeutet dies, dass sie vom gestrigen Montag an bis einschließlich
dem 9. Mai von 8 bis 16 Uhr werktags ihre Wohnungen und Geschäftsräume nicht
betreten dürfen. Sie müssen ihren Alltag nun komplett neu gestalten,
teilweise ihre Arbeitsstätten verlegen. Doch trotz der Umstände und des
Aufwandes stehen sie hinter Meinberger, die nun sogar um ihre Existenz
bangt. "Ich finde es unmöglich, was man mit der Frau hier treibt. Sie
bekommt keinerlei Unterstützung oder Hilfe von der Stadt", empört sich
Anwohnerin Angelika Grodofzig. "Es ist eine absolute Sauerei. Es kann
nicht sein, dass Privatleute für die Folgen des zweiten Weltkrieges mit
ihrem privaten Vermögen haften sollen", pflichtet ihr Nachbar Richard
Krahmer bei.
Bei der Munition handelt es sich um Reste der Wehrmacht sowie der sowietischen Armee. Wer tatsächlich für die Kosten aufkommt, ist noch nicht abschließend geklärt. "Der Löschteich wurde im Auftrag des Staates errichtet und die Waffen wurden mit seiner Kenntnis darin entsorgt. Man kann also einem einzelnen Grundeigentümer diese Verantwortung für Altlasten nicht alleine aufbürden", erklärt Walter Hilger von der Siedlerngemeinschaft Kieferngarten. Entscheidend sei jedoch primär, ob die Eltern von den Resten wussten oder ob sie glaubten ein Grundstück zu pachten, das als gefahrstofffrei deklariert worden war, wie auch Fachanwalt Prof. Dr. Jan Bockemühl klarstellt. Genau das sei der Fall gewesen, behauptet Meinberger: "Es war damals Baugrund und für Wohnzwecke freigegeben. Wäre das damals bekannt gewesen, hätten wir es nie gekauft." Das sieht die Stadt anders. Und so wird, während die Kampfmittelräumer jeden Tag anrücken, hinter den Kulissen weiter gerungen, wer die Summe von 200.000 Euro zahlen muss und ob es nicht Fonds oder Versicherungen gibt, die hier einspringen könnten. Sollte das nicht der Fall sein, dann ist Melitta Meinberger in der Pflicht. Und wer nicht zahlen kann, dem droht im schlimmsten Fall sogar Gefängnis.
Doch
so weit will die 72-Jährige nicht denken. Ihr einziger Wunsch ist
zunächst, dass nicht noch mehr zu Tage kommt: "Innerlich bin ich wütend
und enttäuscht. Man hat immer Steuern und alles bezahlt und dann steht
man vor so einem Schrotthaufen."