16.11.2017 - Regensburg - News Nr.: 12214
Auf Spurensuche im Katastrophengebiet
Deutsche Abenteuerausflügler reisen nach Tschernobyl - Gruppe erkundet verlassene und zerstörte Ruinen der ehemaligen Stadt Prypjat - Beklemmende Eindrücke zeigen, wie Menschen damals alles verloren haben - Aufwändiger Dreh zeigt die Vor- und Nachbereitung der Freunde inklusive ihre Erlebnisse in der verstrahlten Region

© NEWS5 / Auer

Die Wände sind eingestürzt, die Kinderbettchen verrostet, Gasmasken liegen über den Boden verstreut. In einer Ecke des Raumes finden sich die Überreste eines Hundes, der augenscheinlich von einem anderen Tier gerissen wurde. Eine verwitterte Kinderpuppe zeugt von glücklicheren Zeiten.

Es ist still in Prypjat, der Stadt, die von heute auf morgen zu einer Geisterstadt wurde. Fast 50.000 Menschen haben einst hier gelebt, viele von ihnen arbeiteten im nahen Atomkraftwerk Tschernobyl. Am 26. April 1986 kam es hier zur Katastrophe in deren Folge die Stadt evakuiert wurde. 31 Jahre später hat sich die Natur die größten Teile des Gebiets zurückerobert, noch immer ist die Strahlenbelastung jedoch hoch, sodass sich Menschen, je nach Nähe zu dem explodierten Reaktorblock, nur für wenige Minuten in den verstrahlten Bereichen aufhalten dürfen.

Jakob Speigl und Ralf Schmid haben das Unglück beide nicht erlebt. Die beiden 18-Jährigen waren nicht einmal geboren, doch noch heute fasziniert sie dieses, in der europäischen Geschichte, einmalige Ereignis. Daher beschlossen die beiden mit Freunden zusammen in diesem Herbst in die Ukraine zu reisen und dort hautnah zu erleben, wie Prypjat und der Reaktor heute aussehen. Aufmerksam informierten sie sich im Netz und suchten mit Olya Romanytska eine Dolmetscherin, die direkt aus der Gegend stammt. "Ich bin schon aufgeregt, jetzt steht die Entscheidung fest und es gibt kein zurück", blickt Speigl erwartungsvoll in die Zukunft, wohlwissend, dass der Bereich, den er besuchen wird, eigentlich für die Öffentlichkeit gesperrt ist.

In der Ukraine selbst ist der Geigerzähler dann sein steter Begleiter. Immer wieder hält er das Messgerät an die Scheibe des alten Fords, mit dem er durch die verlassene Stadt fährt. Je näher sie der Atomanlage kommen, desto heftiger reagiert das Gerät. "Es gibt stellen, an denen ein X an der Wand steht. Dort ist Strahlung besonders hoch. Arbeiter, die dort tätig sind, werden von den anderen als 'dead people' bezeichnet.

Greifbar wird der Tod an Orten, die eigentlich sinnbildlich für das Leben stehen. Eine Schule, ein Krankenhaus, ein Freizeitpark. Rost und Moos sind bis in die Gebäude eingedrungen, ein vermodertes Karussell dreht sich wie von Geisterhand. "Der Vergnügungspark war nie geöffnet. Nur einmal hatten die Menschen die Möglichkeit die Attraktionen auszuprobieren", erzählt Romanytska den Deutschen aus der Oberpfalz. Die Ruinen selbst, die einst Wohnhäuser waren, wirken steril. Soldaten waren bereits nach kurzer Zeit vorgedrungen, um Möbel sowie anderes Inventar zu entfernen und draußen zu vergraben, damit die Strahlung nicht noch mehr Nährboden findet.

Anders sieht es in den Kellern der Gebäude aus. An den Staubpartikeln können sich radioaktive Elemente gut anheften, weshalb die Abenteurer nur mit Schutzmaske diese Bereiche betreten dürfen. "Hier am alten Kindergarten merkt man, dass es viele Hotspots gibt. Die Strahlung ist da sehr hoch", zeigt Schmid und deutet auf eine Wand, an der Fotos von Arbeitern und Feuerwehrleuten hängen, die sich zum Zeitpunkt der Explosion im Werk befanden. "Die Strahlung war so hoch, dass sie innerhalb weniger Stunden, teilweise schon nach einer Stunde gestorben sind", sagt Speigl. 

Zwei Tage erleben sie eine Stadtführung, welche es wohl nur einmal auf der Welt gibt. Die Eindrücke noch verarbeitend, reisen sie schließlich zurück in ihre Heimat bei Regensburg. "Es war irgendwie befremdlich und beängstigend, weil man weiß, dass die Strahlung da war. Doch es war auch sehr interessant zu sehen, wie es nach 30 Jahren ausschaut. Wie die Natur sich entwickelt, wenn der Mensch nicht mehr eingreift", erzählt Speigl nach seiner Ankunft daheim. "Alles, was man in Tschernobyl sieht, ist ziemlich wichtig, um es allen Leuten zu zeigen. Einfach im Hinblick auf die Atomenergie, die auch heute noch genutzt wird." Sein Freund Ralf pflichtet ihm bei: "Bei den Hotspots hatte man schon ein ziemlich mulmiges Gefühl. Da waren Teile des explodierten Reaktors vergraben. Und da ist der Tacho schon ziemlich ausgeschlagen."

Auch wenn die Ukraine weit entfernt scheint, ist die Gefahr einer Atomkatastrophe nach wie vor real. Erst im Spätsommer wurden im Großraum Aachen Jodtabletten für die Bewohner ausgeteilt, sollte es im nahen belgischen AKW Tihange 2 zu einem Störfall kommen. Und auch in Tschechischen laufen nach wie vor noch Reaktoren, die ihre beste Zeiten schon hinter sich haben. Ein Grund mehr vorsichtig zu sein, wie Speigl meint: "Man hört halt immer wieder, dass es kritisch werden konnte, wie auch vor ein paar Jahren in Japan. Das ist auch heute noch nicht sicher."


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