05.09.2017 - München - News Nr.: 11842
Abriss-Skandal: Ein Stück Stadtgeschichte dem Erdboden gleichgemacht
Bauunternehmen reißt denkmalgeschütztes Gebäude ohne Genehmigungen ein - Anwohner vermuten, dass Eigentümer auf der Fläche neue Wohnungen bauen lassen will - Nachbarn konnten ersten Abrissversuch mit Spontan-Blockade noch verhindern, doch Baggerfahrer rückten am Folgetag wieder an - Bauamt verlangt volle Härte der Strafe - Anwohner trauern um 177 Jahre altes Gebäude und sammeln Unterschriften für Wiederaufbau - Behörde spricht von einem noch nie dagewesenen Ausmaß der Baugesetz-Übertretung

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Die Einwohner in Giesing lieben ihren Münchner Stadtteil mit den malerischen Hausfassaden. Gemütlich lässt es sich durch die verschlafenen Gassen schlendern und den Stress der Millionenstadt vergessen. Das Handwerkerhäuschen in der Oberen Grasstraße 1 gehörte auch zu diesem Ruhepol. Das 177 Jahre alte und offiziell denkmalgeschützte Gebäude sollte nun offiziell saniert werden. Doch was Anwohner Ende vergangener Woche erlebten, glich einer Katastrophe. "Der Baggerfahrer sagte, er wolle die Straße aufreißen. Und dann knallte er mit der Schaufel gegen die Fassade", erzählt Michael Seitz, der ganz in der Nähe des Gebäudes seine eigene Baufirma betreibt. Sofort rennt er in das Gebäude und blockiert die Arbeiten, während er zeitgleich die Polizei ruft. "Der Fahrer hat mich bedroht, dass ich weggehen soll", erinnert er sich.

Ein Unfall? Eher nicht, meinen die Nachbarn am Dienstagnachmittag (05.09.2017). Sie gehen von einer bewussten Tat aus, damit der Eigentümer auf der freiwerdenden Fläche neue Wohnquartiere hochziehen kann. "Die Strafe zahlt der doch aus der Portokasse. Das rechnet sich, egal wie viel es kostet", ist sich Historiker Dieter Klein sicher. "Wenn jeder bauen könnte, wie er mag, dann macht es der nächste auch."

Das Dubiose: Der Baufirma war am ersten Tag ihres Vorhabens durch die Lokalbaukommission explizit erklärt worden, dass das Gebäude denkmalgeschützt sei und ein Baustopp verhängt werde. Obwohl die Baufirma der Behörde versichert hatte, nicht fortzufahren, kamen die Arbeiter am nächsten Tag zurück und machten die Überreste des Handwerkerhäuschens dem Erdboden gleich. Und das ohne irgendeine Genehmigung. Denn diese lag lediglich für eine Sanierung des Objekts vor und genau das hatten die Unternehmer auch immer wieder beteuert.

Die Nachbarn trauern nun um das Ende des ehrwürdigen Gebäudes und legen Kerzen und Blumen am Grundstück nieder, das nun einem Schlachtfeld gleicht. "Das Haus ist durch Gewissenlosigkeit zu Tode gekommen", schreibt ein Anwohner auf ein Schild, das er am Bauzaun angebracht hatte. Die Menschen in der Region sind fassungslos. Über 400 haben sich seit Sonntag in einer Unterschriftenliste eingetragen, in der ein Wiederaufbau des Denkmalschutzes gefordert wird.

Die Behörden haben die Ermittlungen bereits aufgenommen, um herauszufinden, wer den Abriss des denkmalgeschützten Gebäudes in Auftrag gegeben hat. "Wir werden es den Verantwortlichen nicht leicht machen, denn wir wollen ein deutliches Signal setzen. Es muss verhindert werden, dass hier Profit damit gemacht wird, indem Gesetze überschritten werden", schildert Thomas Rehn das nun strikte Vorgehen des Bauamtes in München. Der Verantwortliche kann mit einer Strafe von bis zu 500.000 Euro rechnen. 

Der Bauträger selbst spricht derweil von einem bedauerlichen Unfall. "Der Baggerfahrer soll ein Burnout haben und das auf eine Kappe gemacht haben", berichtet Seitz. "Aber das ist totaler Blödsinn. Der Bagger war ja extra angemietet." Außerdem habe man am Abrisstag zunächst Sanierungsarbeiten vorgetäuscht, ehe ein Arbeiter ein Zeichen gab und alle loslegten. Danach hätten der Baggerfahrer und die Kollegen sofort die Flucht ergriffen und nicht mehr das Abwarten der erneut alarmierten Polizei abgewartet. Danach sei die Firma für keinen mehr zu erreichen gewesen.

Die Behörden prüfen nun, in welcher Form sie gegen die Verantwortlichen vorgehen können. Auch wir hätten gerne mit der Baufirma gesprochen. Doch eine schriftliche Anfrage vom Montagnachmittag mit Fristsetzung auf den 6. September, 10 Uhr, blieb bislang unbeantwortet.




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